Unterwegs mit dem ­bulgarischen ­Energieminister

Mittwoch war er noch bei Robert Habeck in Berlin, Freitag sechs Stunden mit HyCologne unterwegs. HyCologne Vorstandsvorsitzender Dr. Albrecht Möllmann und Carsten Krause begleiten Energieminister Rumen Radev und seine hochkarätig besetzte Delegation quer durch Hürth und Köln. Wie kam das?

Carsten Krause, Geschäftsführer der Elogen und HyCologne-Projektmanager, hatte bereits guten Kontakt zu Radev, bevor er Energieminister wurde. So kam es, dass Radev das HyCologne-Gebiet wählte, um sich vor Ort anzuschauen, wie Wasserstoff-Projekte umgesetzt sind. Ein Tag voller Fragen und Antworten, Netzwerken in Reinform und allgemeiner, gut gelaunter Aufbruchstimmung. Und auch ein Austausch zwischen Ländern, Kulturen und Menschen, die alle das gleiche Ziel haben: CO2-freie, bezahlbare Energie. Aber der Reihe nach:​

Foto: Wirtschaftsministerin NRW Mona Neubaur bei der Jahresversammlung Gigawattpakt Rheinisches Revier, Foto: Dr. Frank Benzel

„Wir dürfen nicht nur denken und reden, wir müssen auch handeln. Hürth ist ein Beispiel dafür. Wir werden versuchen, Ihrem Beispiel zu folgen.“

Rumen Radev

Station 1

Feierabendhaus Knapsack – Von Träumen und Taten, Mindset und Menschen

Gut gelaunt empfängt der Hürther Bürgermeister Dirk Breuer am Morgen seine Gäste und stellt seine Stadt und ihre enge Nachbarschaft zur chemischen Industrie vor. Schon 2029 wolle man CO2-frei sein. Er erzählt, wie Hürth gemeinsam mit HyCologne viel früher als andere Städte mit einem Brennstoffzellenbus und einer Tankstelle startete. „So hatten wir einen technischen Vorsprung“, sagt Breuer. „und haben heute bereits 16 Busse.“ Der Wasserstoff dafür kommt aus der Chlor-Alkali-Elektrolyse der Chemie, erklärt er und lacht kurz, weil ihm zu diesem Fachbegriff erstmalig die englische Vokabel fehlt. Die deutsche wird auch verstanden, und Rumen Radev zeigt sich beeindruckt. „Wir dürfen nicht nur denken und reden“, sagt er. „Wir müssen auch handeln. Hürth ist ein Beispiel dafür. Wir werden versuchen, Ihrem Beispiel zu folgen.“

Auch Radev hat bereits gehandelt, bevor er Minister war, nämlich mit dem Aufbau eines Hydrogen-Valleys in Stara Zagora, der fünftgrößten Stadt Bulgariens. „Aber nicht die Größe einer Stadt ist entscheidend, sondern die Größe der Träume“, sagt er. Und wichtig sei: „Bei der Energiewende gibt es keine dummen Fragen.“ So wird denn auch an den Stehtischen gefragt und geantwortet. Es geht um Effizienz, beziehungsweise gerade nicht. „Das ist keine Frage der Effizienz“, meint Carsten Krause. „Wir müssen. Wir wissen zweifelsfrei: Der Wandel wird kommen – und er kann erstmal teuer werden. Daher brauchen wir Investoren. In 10-15 Jahren, wenn wir tausende Tonnen Wasserstoff haben, sieht das ganz anders aus.“ Stefan Welsch, Leiter der Stadtwerke Hürth und stellvertretender HyCologne-Vorstand, der sozusagen „Investor“ ist, ergänzt: „Die Menschen machen die Musik. Die Preise für die Busse sind schon gesunken und werden es weiter tun, aber wir brauchen auch Fahrer, Mechaniker, Betreiber und mehr.“

„Es geht um die Zukunft, und es geht auch um unsere Unabhängigkeit“, sagt Radev, bevor er sich ins Goldene Buch der Stadt einträgt. Säuberlich schreibt er: „To have our big dreams real, means to plan and act on time.”

In Kürze:

Rumen Radev, Jahrgang 1968, leitet seit den vorgezogenen Parlamentswahlen am 6. Juni 2023 das Energieministerium im Kabinett von Nikolay Denkov. Radev ist seit 2012 Vorstandsvorsitzender von Asarel-Investment und dort verantwortlich für die Investitionen der Gruppe in den Bereichen Bergbau, Energie und neue Technologien. Unter anderem ist er stellvertretender Vorsitzender der Bulgarischen Vereinigung für Brennstoffzellen, Wasserstoff und Energiespeicherung. Er beteiligt sich aktiv an der Entwicklung, Verwaltung und Förderung von Wasserstofftechnologien und -innovationen in Bulgarien, einschließlich der Gründung und Koordination des Hydrogen Valley Stara Zagora.

EU-Mitglied Bulgarien will (muss) die Kohleverstromung durch klimafreundlichere Alternativen ersetzen. Der Staat fördert massiv den Ausbau von Photovoltaik- und Windkraftanlagen. Diese haben ein hohes Potenzial, so viel grünen Wasserstoff zu erzeugen, dass er exportiert werden kann. Darüber sprach Rumen Radev auch mit Minister Robert Habeck.

Foto: Wirtschaftsministerin NRW Mona Neubaur bei der Jahresversammlung Gigawattpakt Rheinisches Revier, Foto: Dr. Frank Benzel

„Wir wissen zweifelsfrei: Der Wandel wird kommen - und er kann erstmal teuer werden. Daher brauchen wir Investoren. In 10–15 Jahren, wenn wir tausende Tonnen Wasserstoff haben, sieht das ganz anders aus.“

Carsten Krause

Station 2

H2-Tankstelle Knapsack – Von Technik, fehlenden Dieselweckern und einer Zero

Mit einem der Wasserstoffbusse – womit sonst? – fährt die Delegation zur Tankstelle in Knapsack. „Es kommt halt kein stinkender Qualm hinten raus, sondern Wasser“, sagt Stefan Welsch im Bus lapidar zum Vorteil des Antriebs. „Und es ist ruhig, innen wie außen.“ Anwohner hätten schon berichtet, sie würden inzwischen verschlafen, weil sie nicht mehr von den Dieselbussen geweckt werden. Weitere Fragen. Wie viel Wasserstoff braucht der Bus? 25 Kilo pro Tag. Wo wird er produziert? Im angrenzenden Chemiepark. Wie kommt er zur Tankstelle? In Containern. Wie lange ist er haltbar? Er verdirbt nicht und entweicht auch nicht. Und wenn doch? Sorgt die kontinuierliche Messung der Gaskonzentration bei Überschreitung automatisch für eine sofortige Meldung an die Feuerwehr.

Interessiert blickt der studierte Physiker Rumen Radev auf die Anzeigesäule beim Tanken. Er lächelt spitzbübisch, weil bei der Preisanzeige eine „Zero“ angezeigt wird. „Ich wäre bereit, das Doppelte oder sogar das Dreifache zu bezahlen!“, scherzt er. Aber vermutlich sei das nur die Anzeige für „Zero Emission, not Zero Money“.

Es sind noch viele Fragen offen, als der Bus nach gerade mal fünf Minuten betankt ist. Daher wird noch die Technik im Heck vorgeführt und nebenbei über die noch zu geringe Verfügbarkeit der Tankstellen, die Wichtigkeit der Kooperation mit Nachbarstädten und die derzeit fehlende Förderung für die Anschaffung der Busse zu sprechen. Er sei beruhigt, dass das mit der Förderung nicht nur in Bulgarien so sei, sagt Radev schmunzelnd. Dann fährt der Bus mit der Aufschrift „Nichts hören, nichts riechen“ mit seinen munter weiter disputierenden Fahrgästen zum nächsten Stopp.

„Wir müssen etwas tun, auch gegen Widerstände und mit allen Risiken. Wir müssen mutig sein, ausprobieren, machen. Wenn es gut ist, machen wir es weiter, wenn es schlecht ist, lassen wir es sein.“

Stefan Welsch

Station 3

Betriebshof Hürth – Von Netzwerken, Nachwuchs und einer Fahrt im Müllwagen

Am Betriebshof der SWH gibt es Kaffee und Kekse, Fragen und fröhliche Stimmung. Albrecht Möllmann erklärt der stellvertretenden Energieministerin Iva Petrova via HyCologne-Flyer das Wesen des Vereins und des Netzwerkens. Sie ist überrascht über die lange Mitgliederliste aus Unternehmen, Städten, Kreisen, Stadtwerken und Forschung. Wie das funktioniert, will sie wissen. „Wir sind Vermittler und Antreiber“, sagt Möllmann. „Wir bringen Themen und Menschen zusammen, damit Projekte am Ende gemeinsam und schneller für alle umgesetzt werden – wie zum Beispiel die Tankstelle in Knapsack.“
Das Thema ist noch nicht abschließend behandelt, aber das Highlight der Station steht an: der mit Wasserstoff betriebenen Müllwagen, der im vergangenen Jahr den Betrieb aufnahm. Der 27-Tonner hat drei Speicher, die nacheinander leergefahren werden. Alle zwei Tage tankt er 48 Kilo Wasserstoff – so viel wie ein 250 Litertank Diesel, aber ohne CO2.

„Nicht spektakulär, aber es ist ein System“, stapelt Stefan Welsch ein wenig tief. Rumen Radev findet die Idee durchaus spektakulär. Es bräuchte jede Menge solcher neuen Ideen. „Der Rest der Welt wächst. Wir müssen partizipieren. Und wir müssen den Wandel vermitteln“, sagt der Energieminister, der sich zu Hause gerade mit dem noch nicht lange beschlossenen Kohleausstieg, Widerständen, Ängsten und Streiks beschäftigen muss. „Es gibt genug Leute mit guten Ideen“, sagt Welsch. „Wir müssen etwas tun, auch gegen Widerstände und mit allen Risiken. Wir müssen mutig sein, ausprobieren, machen. Wenn es gut ist, machen wir es weiter, wenn es schlecht ist, lassen wir es sein.“ Radev nickt. Mit dieser Einstellung rennt Welsch bei ihm offene Türen ein.

Doch zum Machen brauche er Nachwuchskräfte aus dem technischen Bereich. Wie könne er die begeistern für das Thema? Albrecht Möllmann hat Beispiele: das neue interaktive Wasserstoffzentrum „H2 Welt Düren“, welches das Thema schon für Kinder spannend und erklärbar macht. Oder das Institut für Erneuerbare Energien an der TH Köln, das einen speziell auf Wasserstoff ausgerichteten Fachbereich habe. Auch Kabinettsleiterin Karina Angelieva spitzt die Ohren und meint, das wäre auch etwas für die Universität in Sofia.

Die Fragen verstummen, denn die Türen des Müllwagens öffnen sich und der Fahrer lädt ein zur Probefahrt. Es bleibt nicht bei einer, denn alle wollen mitfahren. „Wo ist er denn?“, fragt ein Delegationsmitglied schon ganz ungeduldig, weil er den Müllwagen auf dem Gelände nicht mehr sieht. Dann macht er schnell einen Schritt zur Seite, denn der Wagen steht fast hinter ihm – er kam nahezu geräuschlos.

„Es ist sehr wichtig, solche Institutionen wie HyCologne in der Region zu haben.“

Andree Haack

Station 4

Rathaus Köln – Von Köln und Karneval, Klima und Kooperationen

Die Fahrt zum Historischen Rathaus in Köln erfolgt im PKW-Convoi. Iva Petrova und Karina Angelieva begleiten Albrecht Möllmann im HyCologne-Toyota Mirai. Nach einer Einführung in das Wasserstoff-Auto kommt Karina Angelieva wieder auf das Thema Netzwerken zurück. „Für uns ist das neu, wie hier jeder mit an Bord ist“, sagt sie. „Ich frage mich, wie wir eine solche Partnerschaft bauen können.“ Spontan schlägt sie vor, dass HyCologne-Vertreter und der Hürther Bürgermeister nach Sofia kommen sollen. Für eine Veranstaltung „to start to listen“. Nächstes Thema: Show cases und Vorzeigeprojekte. Bekanntmachen, öffentlich machen, auffallen, Menschen gewinnen. Schneller ging eine Fahrt durch den freitagnachmittäglichen Wahnsinn auf Kölns Straßen selten vorbei.

Zur letzten Veranstaltung des Tages hat Andree Haack, Beigeordneter und stellvertretender Bürgermeister der Stadt Köln, ins Historische Rathaus eingeladen. Mit dabei sind unter anderem Stephan Segbers, Chief Sales Officer der Rheinenergie, und Dr. Frank Obermaier, Leiter Business Development von KölnBusiness. „Sie besuchen uns in einer aufregenden Zeit. Nicht nur wegen der Cowboys und Clowns auf den Straßen“, leitet Haack humorig ein. „sondern auch mitten in der Veränderung unserer Energiewirtschaft.“ Karneval gehöre wie die Industrie zur Identität der Stadt.

Radev erläutert den Teilnehmern, wie am Mittwoch bereits Robert Habeck, die großen Potenziale Bulgariens bei der Produktion von grünem Wasserstoff. Das Land bietet beste Voraussetzungen für eine effiziente Produktion von Strom und Wasserstoff durch Photovoltaik – in Europa, nicht in einem Wüstenstaat. „Damit ist Bulgarien mehr als nur eine vage Option für die künftige Lieferung von grünem Wasserstoff; auch irgendwann für unsere Heimat Köln“, kommentiert Stephan Segbers und zeigt die wichtige Rolle von Wasserstoff in der Wärmewende Kölns auf. Die RheinEnergie AG plant dazu aktuell den Bau Europas größter Wärmepumpe (150MW) am Standort Köln-Niehl.

„Es ist sehr wichtig, solche Institutionen wie HyCologne in der Region zu haben“, sagt Haack. Albrecht Möllmann stellt den Verein in der Runde vor und endet mit den Worten „Es ist ein komplexes System, aber es funktioniert!“. Carsten Krause bringt in zwei 60-Sekunden-Pitches die HyCologne-Projekte HyPipCo und Hydrogen Valley auf den Punkt, wonach tatsächlich die Fragen erstmalig durch beeindrucktes Schweigen ersetzt werden.

Andree Haack fasst das Treffen – und irgendwie auch den ganzen Tag – zusammen mit: „Ist dieser Wandel einfach? Nein. Ist er eine Challenge? Ja.“ Das englische „Challenge“ klingt gerade deutlich optimistischer und engagierter als die deutsche „Herausforderung“.

Bei der abschließenden kurzen Führung durch das Historische Rathaus stehen die Kamera-Apps nicht still. Hansasaal, Historie und Hochzeiten werden mit nach Bulgarien genommen.

Ganz am Ende des Rundgangs bleibt Rumen Radev vor einer großen Schwarz-Weiß-Fotografie stehen. Köln 1945. „Alles, alles kaputt“, sagt jemand. „Aber…“, sagt Radev leise, „alles ist wieder aufgebaut. Das zeigt, was alles möglich ist. Dagegen ist unsere Aufgabe hier eine kleine.“

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